Teil 5 - Eine Frage der Schuld (3)
XII.
Planet Aratea
Petrov zuckte leicht zusammen und schlug die Augen wieder auf. Er musste für einige Minuten weggenickt sein.
Zu seiner Überraschung war alles um ihn herum von einer weißen Schicht bedeckt, er selbst ebenso. Was er im ersten Augenblick noch für Schnee hielt, stellte sich jedoch schnell als Ascheregen heraus.
Dennoch kam er nicht umhin, dem treiben gebannt zu zuschauen. Fast wie Schneeflocken, dachte er sich und streckte ein wenig die Hand aus. Alex hatte Schnee geliebt.
Hart ließ er seine Faust auf die Tischplatte krachen, als er für einen kurzen Moment erneut vom aufbrandenden Zorn erfüllt wurde. Wäre ich doch nur eher bei ihr gewesen...
Bevor er den Gedanken weiterspinnen konnte, hörte er auf einmal Stimmen. Menschliche Stimmen.
Stumm starrte er in die ungefähre Richtung, glaubte er zuerst noch daran sie sich einzubilden. Als jedoch eine Gestalt aus dem Schatten trat, stockte ihm der Atem.
"...sag doch, ich hab was gehört."
"Mich wunderts dass du überhaupt noch was hören kannst, nachdem der Panzer neben dir in die Luft geflogen ist.", sagte jemand heiser.
"Was?" - "Tz... Vergiss es."
"Labert gefälligst nicht so viel rum und schaut euch lieber um.", wurden sie unterbrochen und danach wurde kein Wort mehr gewechselt.
Ingesamt waren es also drei, dachte Petrov sich. Woher auch immer sie kamen, sie waren bewaffnet wie er im spärlichen Licht sehen konnte. Aber er sah kein UEE Abzeichen, was ihn hoffen ließ.
"Hey, wer-", wollte er schon anfangen, das stellte sich jedoch schnell als absolute Scheißidee heraus.
Einer von denen hob erschrocken seine Waffe und ballerte blindlings los. Das Petrov nicht sofort niedergemäht wurde lag wohl an einer gehörigen Portion Glück, als auch daran, dass der Schütze von dem Rückstoß selbst zu Boden geworfen wurde. Eins der Stuhlbeine wurde dennoch abgesprengt, so dass rücklings im Dreck landete und schmerzhaft mit dem Hinterkopf aufschlug.
"Verflucht nocheins, Junge hör auf zu schießen!"
Abrupt endete der Krach und bis auch das letzte Echo verklang.
"Was ist in dich gefahren?" - "Ich... Ich dachte er wäre einer von denen." - "Achja? Wann hat das letzte mal einer mit dir gesprochen, hm?"
Petrov versuchte sich gerade wieder aufzurichten, als er hörte wie sich Schritte näherten. Jemand griff nach seinem Arm und zog ihn wieder hoch.
"Scheint ja noch alles an dir dran zu sein... Ich wusste gleich dass das schief geht, aber auf mich wollt ja wieder mal keiner hören."
Nachdem Petrov sich den Schmutz aus dem Gesicht gewischt hatte, sah er vor sich einen alten Mann stehen. Mit all den Falten und grauen Haaren erinnerte er ihn sofort an seinen eigenen Großvater.
Sein Blick glitt zu den beiden anderen hinnüber, einer mir aschfahlen Gesicht auf dem Boden sitzend, der andere hielt zitternd sein Gewehr fest, wagte es jedoch nicht ihm direkt in die Augen zu sehen. Keiner der beiden war älter als sechzehn.
"Soll das ein Witz sein?", rutschte es ihm raus. Nach allem was passiert war, wäre er fast von einem Kind erschossen worden. Absurd.
"Glaub es oder nicht, kein Respekt vor dem Alter heute. Naja, mit wem habe ich die Ehre?"
"Hm..? Achso, Petrov."
"Freut mich Petrov, also ich bin Jakob und das sind-"
"Warte, warte! Wo zum Teufel kommt ihr überhaupt her? Wie kann es sein das du mit diesen beiden Stümpern hier, überhaupt noch am Leben bist? Ich dachte ich wäre der letzte hier..."
Die freundlich Miene bekam einen Bruch und Jakobs Lippen verwandelten sich zu einem winzigen Strich.
"Wir sind von Ilios hergekommen, nachdem sie angegriffen hatten. Wir dachte hier wäre es vielleicht besser..."
"Ilios? Das ist zwei Tage entfernt, mindestens. Wie lange ist der Angriff her?" Verdammt, wie lange hab ich da gesessen?
"Drei Tage, glaube ich. Wir sind seit gestern in der Stadt... und du bist einer der wenigen die wir in diesem Schlachthaus lebendig gefunden haben."
Petrov schluckte. Also doch, dachte er sich. Kalter Schmerz zog sich in seiner Brust zusammen.
"Frag ihn ob er weiß, ob sie gelandet sind.", traute sich nun einer der Jungen zu sagen.
"Ja, ja, immer mit der Ruhe.", wies Jakob ihn zurecht.
"Sag schon, wovon redet er da?"
"Vor ein paar Stunden haben wir ein Schiff von der UEE am Himmel gesehen..."
"Und von denen erhofft ihr euch nun Hilfe?", er konnte ein trockenes Lachen nicht verhindern. "Die werden keine deut besser sein, dass könnt ihr mir glauben..."
"Du hast welche getroffen? Wo sind sie?"
Petrov schwieg einen Moment, bevor er bitter weiterredete.
"Tot... wenn es nach mir ginge. Haben sich aber aus dem Staub gemacht, nachdem sie einen riesigen Haufen Scheiße hinterlassen haben."
Das war eindeutig etwas, was die beiden Jungen nicht hören wollten. Verblendete Bengel... Jakob sah ihn ebenfalls zweifelnd an, stand er wohl mit seiner Meinung allein da.
"Mag sein, wir waren nicht dabei... aber wir könnten trotzdem deine Hilfe gebrauchen."
"Meine Hilfe? Wenn dir jemand beim gehen helfen soll, frag einen der beiden da."
Verärgert blinzelte Jakob ihn an. "Wir sind nicht alleine hergekommen. Vor der Stadt sammeln sich langsam immer mehr, es sind inzwischen bestimmt ein paar Hundert. Jede helfende Hand ist gern gesehen."
"Hundert, was?", Petrov grinste ironisch. "Um dann zurück in die Geborgenheit der UEE zu flüchten, ja? Ich sehs schon vor mir wie das ganze System zu kreuze kriecht und seine Unabhängigkeit einfach im Dreck zum verrecken zurücklässt. Wirklich ein toller Plan."
Er bemerkte, dass er sich immer unbeliebter bei dem Alterchen machte, doch scherrte ihn das nicht. Er hatte genug von solchen Leuten, die sich immer den einfachsten Weg aussuchten.
"Wie siehts in Ilios aus, steht da noch was um vom Planeten zu kommen?"
Für einen Moment glaubte er, man würde ihm gar nicht mehr antworten.
"Möglich. Als wir von dort weg sind, standen noch einige Maschinen unbeschädigt an ihren Plätzen."
Mit nicht mehr als einem Nicken, bedankte er sich stumm und stapfte auf die beiden Jungen zu. Neugierig schaute sie ihm zu, wie er anfing zwischen dem Schutt herumzuwühlen und etwas hervorzog. Einen kleinen Gegenstand in der Hand haltend, wischte er ihn vorsichtig an seiner Hose ab.
"Was hast du jetzt vor?", ließ sich einer der beiden hinreißen.
Was ich jetzt vor habe? Oh, eine gute Frage...eine sehr gute Frage...
"Weißt du, die letzten Tage hat der Tod versucht mich unzählige Male zuholen. Doch er ist gescheitert und hat dabei einen entscheidenen Fehler gemacht..."
Seine Augen wanderten zwischen den Ruinen hin und her, bis sein Blick an dem Jungen hängen blieb.
"Er hat sein wahres Gesicht zur Schau gestellt. Etwas das man bekämpfen kann."
Ungefragt griff er sich das am Boden liegende Gewehr und machte sich auf in Richtung Ilios.
Noch bevor einer der Jungs ihm nachrief, wurden sie von Jakob zurückgepfiffen.
"Lasst ihn gehen, es würde nichts nützen."
"Was... was genau hat er damit gemeint, etwas das man bekämpfen kann?"
Jakob wusste genau was er gemeint hatte. Und es gefiel ihm ganz und gar nicht.
"Das würdet ihr nicht verstehen, Jungs."
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